Mittwoch, 27. September 2023

 Die Göttin aus der Unterwelt

Ich hatte schon seit Ende Juni mit meinem verletzten linken Arm zu kämpfen, dessen Zustand sich einfach nicht bessern wollte oder konnte. Mir war eine größere Person, als ich selber bin, krampfend in die Arme gekippt, hatte mich rücklings umgerissen und mit der ganzen linken Seite auf eine waagerechte scharfe Möbelkante gestoßen. Auf Grund seines Zustands, indem ich ihn keinesfalls allein lassen konnte, war für mich eine Fahrt in die Notaufnahme keine Option und so biss ich die Zähne zusammen. Die großflächigen Blutergüsse heilten schnell, nur die Beweglichkeit des Armes, samt Schmerzpotenzial, ließ stark zu wünschen übrig. Die Knochen waren, laut Röntgenbild, in Ordnung, was in dem Augenblick auch die einzige positive Nachricht war.

Jedes Mal, wenn sich eine Besserung zum etwas Erträglicheren anbahnte, hatten die Umstände etwas dagegen: Mal musste ich über mehrere Stunden einen Rollstuhl schieben, was mit einem Arm nicht zu bewerkstelligen ist, dann diesen mehrmals am Tag und pro Woche ins Auto rein und wieder raus heben. Danach puckerte es ganztägig im Oberarm, der für ein paar Tage sogar heiß wurde und anschwoll.

Inzwischen stellte sich sogar heftiger Schmerz in Ruheposition ein. Um das Ganze noch zu würzen, drehte mir im Unwetter eine Windböe den Arm um, als sie meinen Regenschirm erfasste. Den konnte ich nur links festhalten, weil ich rechts einen schweren Beutel tragen musste. Vom plötzlich rasenden Schmerz wurde mir schwarz vor Augen und ich fand mich auf dem nassen Gehweg liegend wieder. Bloß gut, dass das keiner gesehen hatte! Es dauerte eine Weile, bis ich mich aufgerappelt hatte, weil der linke Arm immer wieder nachgab, statt mich zu stützen. Der Schirm war weg mit dem Wind davon gesegelt. Ziemlich egal, weil ich nun eh bis auf die Haut nass war. Es dauerte fast zwei Wochen, bis ich den Arm wieder einigermaßen bewegen konnte.

Im Monat darauf musste der Bus, in dem ich gerade stand, eine Vollbremsung machen. Und diesmal war es richtig peinlich, denn das Fahrzeug war voller Passagiere. Durch den unerwarteten Ruck drehte es mir erneut den Arm in eine Position, als wolle es ihn zu zerreißen. Mich sammelten zwei ältere Damen vom Boden auf. Mit einer dokumentierten Altverletzung konnte ich auch schlecht in die Notaufnahme fahren. Also wieder Zähne zusammenbeißen und irgendwie versuchen, den Schmerz zu betäuben. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man stark allergisch auf Salben oder oral einzunehmende Schmerzmittel reagiert. Von der Salbe sah der Oberarm wie Noppenfolie aus – Wasserblasen dicht an dicht und brennender Schmerz.

Inzwischen hatte ich einen der raren MRT-Termin ergattert. Aber auch das brachte keinen Aufschluss über den Grund der Schmerzen. Es war nur das Gelenk gescannt worden. Der Schmerz saß drei Finger breit weiter unten. Zudem war mein Pflegling erneut gestürzt, mein Arm hatte, ihn Mitternacht vom Boden hochzuhieven, nicht wirklich gut vertragen.

Jetzt endlich gab mir der Hausarzt eine Überweisung in die Orthopädie! Ich bekam auch ganz schnell einen Termin. Hätte ich allerdings vorher die Bewertungen der Ärztin gelesen, wäre ich darüber keinesfalls verwundert gewesen. 

Ich fuhr also zu Frau Dr. Sperber* auf der Finkenbuschstraße*, um endlich Hilfe zu bekommen.

Den wenig einladenden Wartebereich auf dem Podest auf halber Treppe kannte ich von früher. Nun sollte es aber richtig unschön werden. Man gab mir einen Bogen zwecks Datenschutz, auf dem ich pauschal unterschreiben sollte, dass ich damit einverstanden bin, dass mir während der Behandlung irgendwas gespritzt werden könnte, und es auch zu Verletzungen von Gefäßen und bleibenden Schäden kommen könne. Logisch, dass ich solcherart Freibrief erst mal abgelehnt habe. Und das war gut so, wie ich später feststellen sollte.

Mein Termin lautete auf 11:40 Uhr, ich war 15 Minuten vorher da, durfte dann aber, als Staatsfeind Nr. 1, wegen Unterschriftsverweigerung, bis kurz nach 13 Uhr im Treppenhaus hocken und die hämischen Blicke der Praxisdamen genießen.

Noch während eine Praxisangestellte versuchte, den Hergang zu meinen Armproblemen in den Computer zu hämmern, begann die Ärztin meinen Arm zu bewegen, obwohl sie im Treppenhaus am Tresen unter mindestens 10 Zeugen getönt hatte, dass sie mich ohne die Unterschrift nicht mal anfassen werde.

Irgendwann kam auch wieder jene Position, an der mir in rasendem Schmerz schwarz wurde, und ich rücklings vor einen Stuhl sackte. Weil ich nicht bewusstlos geworden war, schrie sie mich an, dass ich das Theater lassen solle, und das eine ganz typische Show sei. Es hat mir auch niemand beim Aufstehen geholfen, obwohl mir wieder der linke Arm immer wieder wegsackte. Ich solle gefälligst die Augen aufmachen und machen, dass ich hochkomme.

Ich habe die Dame angeschrien, was das soll, mich mit zitternden Händen angezogen, meine Befunde geschnappt und bin gegangen.

Als Ü60-Patientin, die selbst ihren Angehörigen zu Hause pflegt, und dabei Schaden erleidet, bin ich in diesem Gesundheitssystem offenbar wirklich der letzte Dreck. Frau Doktor, die Göttin in Weiß, die direkt aus der Unterwelt zu stammen scheint, hat es mir mit deutlichen Worten zu verstehen gegeben. 


S.B. 27.09.23


* Name geändert