AJA am 24.10. 2015, 10.00 – 13.00 Uhr in der Bibliothek in Dresden
Leerstellen in der modernen Prosa
Wie
immer trafen wir uns bei strahlendem Sonnenschein vor dem Haupteingang
der Bibliothek, um gemeinsam hinein zu gehen und uns von Horst die
vielen Möglichkeiten der Leerstellen in der modernen Prosa aufzeigen zu
lassen.
Die
erste Leerstelle des Tages war allerdings der Platz von Iris, die sich
im Stau herumprügelte und eher den, hoffentlich ausreichend großen,
leeren Stellen zwischen zwei Fahrzeugen Aufmerksamkeit schenken musste,
als an Prosa zu denken. Was ihr wiederum etwas später eine Idee für die,
von Horst von uns geforderte, 20-Zeilen-Geschichte einbrachte.
Aber
beginnen wir von vorn, mit einer Leerstelle im Stil eines kurzen
Zeitsprunges, obwohl die Geschichte am Ende „Ankunft in Dresden“ zum
Inhalt haben sollte.
Anhand
mitgebrachter Texte fahndeten wir nach Leerstellen zwischen Kartoffeln,
die Reina mit großem Mut erkämpft hatte und Geistern der Kindheit,
welche Carlos’ Oma ein Leben lang begleiteten.
So
vielfältig, wie die Möglichkeiten, eine Leerstelle bewusst oder
unbewusst einzusetzen, waren auch die Geschichten, die wir Horst
schließlich als Ergebnisse der Aufgabenstellung präsentierten.
Die einen beschrieben das körperliche in Dresden Ankommen, die anderen das mentale, das hier Zuhausesein.
Nach
so viel Leerstellen auf dem Papier und in den Gedanken der Leser,
meldeten schließlich auch unsere Mägen entstandene Leerstellen an. Also
tigerten wir nach Gegenüber in ein asiatisches Restaurant, wo Horst
Plätze reserviert hatte, um die Leere im Magen gegen Wohlbefinden
auszutauschen, ehe wir den Heimweg antraten.
Nun
füge ich eine bewusste Leerstelle ein, weil einige schon wieder auf
meinen persönlichen Reisebericht warten, denn Reisechaos und ich gehören
zusammen, wie siamesische Zwillinge.
Nachdem
mein Zug in Chemnitz wieder mal 15 Minuten Verspätung hatte, hielt er
genialerweise genau so, dass sich die Tür direkt vor meiner Nase
öffnete. Rein, Platz entern und aufatmen, weil ich endlich der Kälte auf
dem Bahnsteig entronnen war, geschahen fast gleichzeitig. Ein Wunder,
dass sich kein Kondensstreifen beim Einsteigen zeigte.
Die
Plätze auf beiden Seiten des Abteils vor mir belegte eine deutsche
Familie mit 5 Kindern, der Lärmpegel lag knapp unter dem eines
startenden Flugzeugs und das bis Dresden, wo ich aus dem Bahnhof eilte
und wenige Meter vor der richtigen Straßenbahn die Haltestelle erreichte
und trotz allem pünktlich zur AJA kam.
Den Rückweg trat ich Richtung Bahnhof zu Fuß zusammen mit Anne und Reina an. Bei dem wundervollen Wetter schon fast ein Muss.
Ich
hatte meinen Zettel mit den verschiedenen Zugverbindungen irgendwo in
der Tasche verramscht, erspähte aber gleich auf dem ersten Gleis einen
Zug in die richtige Richtung – Abfahrt in 2 Minuten.
Den
beiden Frauen rasch zuwinkend, rannte ich auf den Bahnsteig und
versuchte, die Türen zu öffnen. Zwei Männer probierten erfolglos das
Gleiche und hatten gerade den dritten Waggon erreicht, als dieser
plötzlich ohne uns losrollte. Da hatte der Zug vor zwei abgekoppelten
Wagen gestanden! Ich raufte mir die Haare!
Mit
hängenden Ohren schlich ich davon, um nun den Zug zu nehmen, den ich
mir per Aufdruck auf dem Ticket eigentlich ausgesucht hatte. Der war
gerade zwei Gleise weiter eingefahren und der Lokführer stieg aus, um
Essen zu gehen. Etwas verunsichert stieg ich ein, in der Angst, es
könnte plötzlich doch noch etwas anders auf der Anzeige erscheinen, als
Endbahnhof Hof. Blick auf die Uhr – noch fast 3/4 Stunde Zeit.
Inzwischen
füllten sich die leeren Plätze und Stellen mit Reisenden und Koffern.
Genau vor mir platzierte sich eine arabische Familie mit vier Kindern im
gleichen Alter wie die auf der Hinfahrt, was mich interessante
Vergleiche ziehen ließ.
Diese
Vier hier wuselten zwar auch durch die Gegend, wie es Kinder nun mal
tun, sangen aber die meiste Zeit miteinander und hatten in
Zimmerlautstärke Spaß. Die Kleinen übten Deutsch, wie sie es wohl im
Kindergarten gelernt hatten: „A – a – Auto, a – a – Apfel. B – b – Bus
…“ Ich schmunzelte vergnügt in mich hinein.
Dabei sagte die Mutti
fast schüchtern und wie um Entschuldigung bittend, als der Jüngste immer
wieder an mir vorbeisauste: "Kinder, 4 Stück" und hob beinahe hilflos
die Hände.
Ich setzte mein fröhlichstes Lächeln auf, als ich entgegnete: "Alles ist gut."
Das
brach wohl schlagartig das Eis. Denn plötzlich hielt ich ein fremdes
Mobiltelefon in der Hand und durfte für einen anderen arabischen
Reisenden dessen Freund erklären, wo sich der Reisende gerade befand und
was sonst noch an wichtigen Informationen auf dem Ticket stand.
Logisch,
dass ich, genau neben der Tür sitzend, auch selbige für die Muttis mit
Kinderwagen oder zwei Kleinen an der Hand aufhielt, ohne dafür aufstehen
zu müssen.
Beim Aussteigen Dankbarkeit in vielen Augen und Worten für das, was für mich menschlich und selbstverständlich ist.
Und noch eine Leerstelle zum Nachdenken.
Auch
wenn wir Asyl nicht zum Thema im Sachsenbrief machen wollen, weil es
inzwischen regelrecht abgedroschen wirkt, gehen wir in unseren kleinen
Gesten trotzdem darauf ein. Das ist für die, die es betrifft, wohl
wichtiger, als viele Worte darüber zu verlieren.
Reni Dammrich aka Sina Blackwood
(Auch
wenn man Leerstellen nicht erklären soll, diese Letzte ist mir wichtig:
Menschlichkeit steht für alles, was ich schreibe, unter welchem Namen
auch immer.)
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